Was einen guten Mentor ausmacht – und die Vorbereitung, die viele überspringen
Kennst du diesen Moment, wenn dich jemand fragt, ob du Lust hättest, ihn oder sie zu mentorieren – und bevor dein Kopf überhaupt richtig nachgedacht hat, ruft dein Herz schon „Natürlich, auf jeden Fall“?
Dieses Bedürfnis, andere unterstützen zu wollen, ist fantastisch. Aber es wird erst dann wirklich erfüllend, wenn man es bewusst und gut vorbereitet macht.
Ein guter Mentor zu sein bedeutet nicht nur, mit der eigenen Erfahrung anzugeben. Es erfordert viel innere Arbeit, bevor du überhaupt mit einem Mentee loslegst. Die Mentorinnen und Mentoren, die wirklich etwas bewegen, sind nicht einfach wandelnde Lebensläufe. Sie sind Menschen, die sich selbst ehrlich fragen: „Warum will ich das eigentlich wirklich tun?“
Wenn du den Ruf zum Mentoring spürst, lass uns gemeinsam schauen, wie du dich so vorbereitest, dass du und dein Mentee die Chance auf echte Transformation habt – und dein Mentee dadurch langfristig erfolgreich werden kann.
Starte mit deinem „Warum“ – und geh Schicht für Schicht tiefer
Viele gehen mit sehr oberflächlichen Beweggründen ins Mentoring: „Ich möchte anderen helfen“ oder „Ich möchte etwas zurückgeben.“ Das klingt gut, trägt aber nicht durch schwierige Gespräche und schafft auch keine echte Authentizität in der Beziehung.
Der bessere Weg ist, deine Motivation wie eine Zwiebel zu behandeln. Du musst sie Stück für Stück schälen, vielleicht auch mal eine Träne verdrücken, bis du beim Kern angekommen bist.
Ebene 1 (die offensichtliche Begründung):
Zum Beispiel „Ich möchte die nächste Generation von Führungskräften entwickeln.“
Ebene 2 (was darunter liegt):
Vielleicht „Ich fühle mich verantwortlich, mein Wissen weiterzugeben, damit es nicht verloren geht.“
Ebene 3 (die eigentliche Wahrheit):
Es könnte sein: „Ich habe ein Herzensthema, in dem ich besondere Expertise habe, und es gibt mir Energie, andere darin wachsen zu sehen.“
Eine erfahrene Mentorin erzählte: „Anfangs dachte ich, ich will einfach etwas zurückgeben. Doch irgendwann habe ich verstanden, dass ich eigentlich meine eigenen Leadership-Skills weiterentwickeln wollte. Ab diesem Moment war ich als Mentorin viel wirkungsvoller.“
Deine tieferen Beweggründe sind nicht egoistisch, sie sind menschlich. Wenn du sie ehrlich erkennst und benennst, trittst du viel authentischer auf und legst den Grundstein für klare Erwartungen in der Beziehung.
Deine Lebensgeschichte ist deine Superkraft
Bevor du jemand anderem auf seinem Weg Orientierung geben kannst, musst du deine eigene Geschichte verstehen. Es geht dabei nicht darum, ein makelloses Erfolgsnarrativ zu erschaffen. Es geht darum, zu erkennen, welche Erfahrungen dich geprägt haben – und wie genau diese dein Mentoring beeinflussen könnten.
Nimm dir eine halbe Stunde Zeit und zeichne deine berufliche Reise nach. Markiere die Wendepunkte: Beförderungen, Rückschläge, glückliche Zufälle, tiefe Zweifel. Stell dir dann Fragen wie:
- Welche Hindernisse haben dich gebremst, und wie hast du sie überwunden?
- Wer hat dich unterstützt, und was war an dieser Unterstützung besonders wertvoll?
- Welche unerwarteten Ereignisse haben deine Richtung komplett verändert?
- Welche Lektionen begleiten dich bis heute?
Warum ist das wichtig? Weil wir alle unbewusste Prägungen und Vorurteile mit uns tragen. Wenn du deine eigenen nicht kennst, wirst du anfangen, andere so zu beraten, als wären sie nur eine jüngere Version von dir selbst. Und das ist kein Mentoring – das ist Kopieren.
Eine Mentorin merkte irgendwann, dass sie selbst extrem auf Eigenständigkeit setzte. Deshalb sagte sie ihrem Mentee ständig: „Finde es allein heraus.“ Doch genau das war nicht das, was er brauchte. Er brauchte Unterstützung beim Netzwerken und Zugang zu Kontakten. Als sie ihre Perspektive erweiterte, änderte sie ihren Ansatz – und ihr Mentee entwickelte sich zu einer starken, selbstbewussten Persönlichkeit, die ihren eigenen Weg ging.
Deine Karrieregeschichte – mit Höhen und Tiefen – ist also ein wertvolles Werkzeug. Sie hilft dir, die Herausforderungen deiner Mentees besser zu verstehen und sinnvolle Unterstützung zu geben.
Die Kunst des tiefen Zuhörens
Wenn man Mentees fragt, was sie an Mentorinnen und Mentoren am meisten schätzen, steht „gut zuhören“ fast immer ganz oben. Doch gutes Zuhören heißt nicht, im Meeting freundlich zu nicken und ein paar
Fragen zu stellen.
Erfolgreiche Mentor*innen hören auch das Schweigen. Sie lesen die Körpersprache, bemerken kleine Energieverschiebungen. Sie erkennen den Traum, der sich hinter den nüchternen Zahlen versteckt. Sie hören das, was nicht ausgesprochen wird.
Ein einfacher Übungstipp: Achte in deinem nächsten Gespräch stärker auf Körpersprache und Stimmung als auf die Wörter. Was möchte die Person dir eigentlich sagen? Was traut sie sich vielleicht nicht offen anzusprechen? Diese Form des Zuhörens verändert jede Mentoring-Situation und macht dich zu der Vertrauensperson, die dein Mentee wirklich braucht.
Wenn du wirklich zuhörst, schaffst du einen sicheren Raum, in dem dein Mentee Gedanken entfalten, Herausforderungen benennen und Selbstvertrauen entwickeln kann.
Sei nicht die Antwort-Maschine
Für viele erfolgreiche Profis ist das der schwierigste Teil: Deine Aufgabe als Mentor*in ist nicht, alle Probleme für dein Mentee zu lösen. Es geht darum, dein Mentee zu befähigen, eigene Lösungen zu finden und eigenständiges Denken zu entwickeln.
Wenn dein Mentee dir eine Herausforderung schildert, versuche bewusst, nicht sofort in den Ratgeber-Modus zu springen. Probiere stattdessen Fragen wie:
- „Was hast du bisher schon überlegt?“
- „Wie würde für dich ein gutes Ergebnis aussehen?“
- „Was macht genau diese Entscheidung so schwer?“
- „Wenn du keine Angst vor dem Scheitern hättest, was würdest du ausprobieren?“
Du bist nicht der Problemlöser, sondern der Co-Pilot. Dein Job ist, den Prozess zu begleiten, Impulse zu geben und Raum für eigenes Denken zu schaffen. So stärkst du Vertrauen und überträgst deinem Mentee die Verantwortung für die eigene Entwicklung.
Klare Basis schaffen: Regeln und offene Kommunikation
Noch bevor ihr startet, ist es hilfreich, gemeinsam Rahmenbedingungen festzulegen. Keine starren Regeln, sondern ein offenes Grundgerüst, das für beide Seiten Klarheit bringt.
Besprecht zum Beispiel:
- Wie oft ihr euch trefft und auf welchem Weg ihr kommuniziert
- Welche beruflichen Ziele und Themen im Vordergrund stehen sollen
- Wie Feedback gegeben und Fortschritte gemessen werden
- Wie weit dein Unterstützungsangebot reicht und welche Ressourcen nutzbar sind
- Welche Rolle Vertraulichkeit und gegenseitiges Vertrauen spielen
Diese Gespräche am Anfang schaffen ein gemeinsames Verständnis und verhindern Missverständnisse. Sie öffnen die Tür für ehrliche Gespräche über Motivation, Schwierigkeiten und persönliche Ziele.
Mentoring als Lernlabor
Die besten Mentoring-Beziehungen sind keine Einbahnstraße. Sie sind Lernlabore, in denen beide Seiten wachsen. Wenn du echtes Interesse an den Hintergründen, Herausforderungen und Sichtweisen deines Mentees zeigst, entsteht Weiterentwicklung auf beiden Seiten.
- Vielleicht bewegen sie sich in Strukturen, die du selbst nie erlebt hast.
- Eventuell gehören sie einer Generation an, die neue Ansätze zu Work-Life-Balance mitbringt.
- Möglicherweise haben sie technisches Wissen, das deine strategische Erfahrung ergänzt.
- Oder sie bringen kulturelle Einblicke mit, die deinen Blickwinkel erweitern.
Dieses gegenseitige Lernen macht Mentoring reicher, vielseitiger und wertvoller.
Mentoring-Skills entwickeln
Gute Mentor*innen verlassen sich nicht nur auf ihre Berufserfahrung, sondern trainieren aktiv Fähigkeiten, die für Mentoring entscheidend sind.
Kommunikation:
Lerne, Fragen zu stellen, die zum Nachdenken anregen. Gib Feedback, das motiviert, anstatt zu entmutigen.
Verständnis und Empathie:
Übe, die Situation aus der Sicht deines Mentees zu betrachten. So wird deine Unterstützung relevanter.
Geduld und Ermutigung:
Entwicklung braucht Zeit. Deine Aufgabe ist es, dein Mentee zum Ausprobieren zu ermutigen, statt schnelle Lösungen zu erzwingen.
Ressourcen:
Verschaffe dir einen Überblick über Trainings, Netzwerke und Veranstaltungen, die deinem Mentee helfen könnten.
Die besten Mentor*innen sehen ihre Rolle nicht darin, ihr eigenes Wissen auszuschütten. Sie unterstützen ihre Mentees dabei, eigene Stärken zu entdecken, Hindernisse zu meistern und das Selbstvertrauen aufzubauen, ihren beruflichen Weg eigenständig zu gehen.
Der Multiplikator-Effekt von bewusstem Mentoring
Mentoring beeinflusst nie nur eine einzelne Person. Wer gute Mentoring-Erfahrungen gemacht hat, wird oft selbst zu einer reflektierten Mentorin oder einem Mentor. Dabei wird nicht nur weitergegeben, was du vermittelt hast, sondern auch die Art und Weise, wie du es getan hast.
So entsteht ein positiver Kreislauf, der weit über die einzelne Beziehung hinaus wirkt. Dein Mentee kann später eigene
Teams führen, ein Unternehmen gründen oder wiederum andere mentorieren – und trägt dabei ein Stück deiner Haltung weiter.
Dein Weg als Mentor beginnt jetzt
Die Menschen, die zu wirklich großartigen Mentor*innen werden, sind nicht die, die alles perfekt im Griff haben. Es sind diejenigen, die bereit sind, nach innen zu schauen, zu lernen und mit einer Mischung aus Weisheit und Demut aufzutreten.
Deine Erfahrung zählt. Deine Einblicke sind wertvoll. Deine Expertise kann Türen öffnen. Aber vielleicht ist dein größtes Geschenk an dein Mentee genau das: dass du selbst offen bleibst, weiter lernst und authentisch bist.
Egal ob du gerade erst beginnst oder schon länger mentorst – die Bereitschaft, Mentorin und gleichzeitig lebenslanger Lernende*r zu sein, macht den Unterschied. Genau das schafft die tiefsten und wirkungsvollsten Mentoring-Beziehungen.
Bist du bereit, diesen Weg zu starten?